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Probenstart «Zeiten des Aufruhrs»

Nachgefragt bei Schauspielerin Christiani Wetter

Lesezeit: 5,5 min.

Dienstag, 26.08.25

Aus welchem künstlerischen Kontext startest Du aktuell in die Probenarbeit?
Ich komme gerade aus einem Sommer, in dem ich viel geschrieben und reflektiert habe. Außerdem aus einer Phase, in der ich sehr genau hingesehen habe: auf Machtstrukturen, auf die kleinen Dramen des Alltags, auf die unausgesprochenen Erwartungen, die gerade wir Frauen so früh lernen, mitzutragen. Das alles nehme ich mit in die Proben, wie einen Rucksack voller Geschichten, die vielleicht gar nicht alle Platz finden, aber trotzdem da sind.

Keine passenden Veranstaltungen gefunden.

In der Stückbeschreibung zu «Zeiten des Aufruhrs» lesen wir: «Autor Richard Yates schuf mit diesem Roman eine abgründige psychologische Studie des Lebens in den ländlichen Vorstädten. Die Rollenbilder, die Meinung der Nachbarn und Nachbarinnen, all das dominiert das gesellschaftliche Leben und damit auch das private Leben.» Welche Figuren bzw. Rollen(-Bilder) wirst Du in der Produktion übernehmen?

Ich werde mehrere Frauen spielen, die scheinbar verschiedene Leben führen, aber im Kern vom selben Konflikt durchzogen sind: dem Wunsch nach Freiheit und der Angst vor Verurteilung.

Da ist Milly, die Nachbarin und gute Bekannte von April und Frank, die aus einer gewissen Distanz zuschaut – eine Frau, die an den gesellschaftlichen Normen festhält, aber gleichzeitig neugierig über den Gartenzaun späht. Sie ist wie ein Spiegel für das, was man sehen soll und darf: freundlich, ein bisschen naiv vielleicht, doch ihre Blicke verraten, dass sie sehr wohl erkennt, was unter der Oberfläche brodelt.

Dann Maureen Grube, die junge Frau, die von Frank Wheeler begehrt wird. Sie verkörpert auf den ersten Blick das Versprechen von Leichtigkeit und Unschuld. Doch in Wahrheit ist sie mehr Projektionsfläche als Mensch: ein Rollenbild, in das sie sich fügt, weil ihr anderes gar nicht zugebilligt wird. Für mich ist sie ein Sinnbild dafür, wie Frauenkörper und -träume von außen besetzt werden.

Und schließlich Mrs. Givings: Sie ist die einzige ältere Figur im Stück – und genau darin liegt eine besondere Schärfe. Denn durch sie wird ein weiteres Thema sichtbar, das bis heute unterschätzt wird: Ageism. Frauen, die älter werden, die Falten zeigen, die nicht mehr als begehrenswert im gängigen Sinn gelten, verlieren an gesellschaftlicher Sichtbarkeit – oder werden in eine schrullige Rolle gedrängt. Bei Mrs. Givings wirkt es zuerst fast komisch: Sie redet ohne Punkt und Komma, inszeniert sich als Frau, die alles im Griff hat, die Ordnung herstellt, wo Chaos droht. Aber genau diese Geschäftigkeit ist ein Panzer. Dahinter verbirgt sich eine Frau, die mit der vermeintlichen «Geisteskrankheit» ihres Sohnes John ringt – und mit der Angst, dass auch sie selbst aus dem Bild der kontrollierten Vorstadtwelt herausfällt. John, der in seiner Schonungslosigkeit eigentlich nur Wahrheiten ausspricht, wird als «verrückt» gebrandmarkt – aber vielleicht ist er der einzige Sehende in diesem Stück. Und Mrs. Givings’ Tragik ist, dass sie alles daran setzt, diese Spiegelung wegzureden, weil die Abweichung im eigenen Leben zu schmerzhaft wäre. Hier zeigt sich für mich das Thema: Wie sehr Frauen klein gemacht werden – nicht nur in ihrer Jugend, wenn sie hübsch und angepasst sein sollen, sondern auch im Alter, wenn sie plötzlich zu laut, zu viel oder zu unsichtbar gelten. Bei Mrs. Givings wird klar: Das Korsett endet nie, es schnürt nur an anderen Stellen zu.

Jede dieser Figuren ist auf ihre Weise gebrochen, aber eben nicht tragisch im großen Sinn, sondern gebrochen im Alltäglichen. In diesen Figuren begegnet mir immer das gleiche Dilemma: Frauen, die funktionieren sollen – sich fügen statt ihr Leben selbst gestalten zu dürfen. Mütter, Ehefrauen, Nachbarinnen, die lernen mussten, ihre Stimme klein zu halten. Und darin liegt das Emotionale: Jede von ihnen trägt diesen inneren Widerstand. Und gerade das macht sie so spannend: Sie zeigen, wie subtil die Mechanismen sind, mit denen Menschen – besonders Frauen – in Rollen gedrängt werden.

Was hast Du aus den Vorproben mitgenommen und wie hast Du Dich vorbereitet?

Die Vorproben haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, Raum zu lassen: Raum für Pausen, für das Unausgesprochene, für das, was zwischen den Figuren hängt und oft schwerer wiegt als das Gesagte. Ich habe versucht, nicht schon Antworten parat zu haben, sondern neugierig zu bleiben – und zu spüren, wo meine eigenen Verletzlichkeiten in Resonanz mit den Figuren gehen. Zur Vorbereitung habe ich den Roman noch einmal sehr konzentriert gelesen und mir besonders die Zwischentöne markiert: das Schweigen, die Abbrüche in Gesprächen, die Momente, in denen die Figuren innerlich explodieren, nach außen aber fast unbeweglich bleiben. Dazu habe ich mir viele Notizen gemacht, welche Parallelen es zu heutigen Frauenrollen gibt – weil es mir wichtig ist, Milly, Maureen und Mrs. Givings nicht nur als Figuren aus einer vergangenen Zeit zu zeigen, sondern mit einer Dringlichkeit, die unmittelbar ins Heute hineinreicht.

Hast Du Dir die Verfilmung mit mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio (2008, u.a. mit dem Golden Globe ausgezeichnet, 3 Oscar Nominierungen) angesehen oder empfiehlst Du das?

Den Film habe ich schon vor vielen Jahren gesehen – und er hat mich zutiefst bewegt. Kate Winslet spielt April Wheeler mit einer solchen Intensität, dass man jede innere Zerrissenheit fast körperlich miterlebt. Es war eine dieser Darstellungen, die mich tatsächlich zu Tränen gerührt haben, weil sie so gnadenlos ehrlich zeigt, wie schnell ein Leben in gesellschaftlichen Erwartungen erstarrt.

Und das vielleicht Bitterste daran: Ich habe das Gefühl, wir sind gesellschaftlich gar nicht so weit gekommen. Die Rolle der Frau ist nach wie vor von Erwartungen überfrachtet – ob es um Kinder geht, um Ehe, um die Frage nach Abtreibung oder schlicht darum, wie «liebenswürdig» eine Frau zu sein hat. Frauen, die keine Kinder wollen, oder die nicht in das Bild der «idealen» Mutter passen, werden auch heute noch verurteilt. Yates’ Roman und die Verfilmung zeigen mit erschreckender Klarheit, dass diese Fragen keine historische Fußnote sind, sondern brandaktuell bleiben. Das macht das Stück so drängend – und für mich als Schauspielerin so relevant.

Filmtrailer

Revolutionary Road (2008)

Regie: Sam Mendes
Drehbuch: Justin Haythe, Richard Yates
Hauptbesetzung: Leonardo DiCaprio, Kate Winslet, Christopher Fitzgerald

https://youtu.be/PZwbp2pt2MM?si=F75nkSGWWLMSIhAK

  • Copyright Dreamwork Pictures

Hast Du bereits eine Lieblings-Textstelle?

Eine Stelle, die mich besonders berührt im Roman, ist jene, in der April Wheeler sagt: «I still feel like I’ve been living in a trap. And I don’t know what the trap is, but I’m not sure I even care./ Ich habe immer noch das Gefühl, als würde ich in einer Falle leben. Und ich weiß nicht einmal genau, was diese Falle ist – aber vielleicht ist es mir auch egal.»

Diese Verzweiflung – gefangen zu sein, ohne dass man das Gitter benennen kann – beschreibt für mich das Herz des Romans. Und es ist eine Erfahrung, die bis heute viele Frauen teilen: zu merken, dass das, was als «normales Leben» verkauft wird, sich wie ein Käfig anfühlt.

Welche Passage oder welche Stelle im Stück/Plot gibt Dir zu Probenbeginn am meisten Fragen auf?

Mich beschäftigt besonders die Stelle, in der April die Schwangerschaft thematisiert und eine Abtreibung ins Spiel bringt. Diese Passage ist für mich ein Kernpunkt, weil sie so viele Schichten aufreißt: die Rolle der Frau in der Ehe, der gesellschaftliche Druck Mutter zu sein, die fehlenden Optionen und die moralische Verurteilung. Ich frage mich: Wie können wir das heute erzählen, ohne es historisch abzukapseln – sondern so, dass es deutlich wird, wie sehr diese Fragen auch unsere Gegenwart betreffen? Frauen stehen auch heute noch unter enormem Druck, funktionieren zu müssen, als «gute» Mütter, Partnerinnen, Bürgerinnen. Genau an dieser Stelle fordert mich der Stoff heraus – wie bringen wir diese historische Enge so auf die Bühne, dass sie auch für ein heutiges Publikum schmerzhaft nachvollziehbar bleibt?

Kannst Du eigene Wünsche an den Prozess – im Innern für Deine Arbeit und im Äusseren, also für die Produktion – formulieren?

Für meine Arbeit wünsche ich mir, dass wir die Figuren nicht vorschnell psychologisch erklären oder sie in Schubladen stecken. Viel spannender ist für mich das Uneindeutige, das Widersprüchliche: Frauen, die gleichzeitig stark und zerbrechlich sind, Männer, die Macht ausüben und zugleich hilflos sind. Ich möchte den Raum haben, diese Ambivalenzen auszuloten, ohne gleich Antworten liefern zu müssen.

Für die Produktion insgesamt wünsche ich mir, dass wir uns trauen, die Härte der Vorlage nicht zu glätten. Yates ist brutal ehrlich – er schont niemanden. Ich fände es wichtig, dass wir diese Schärfe nicht verlieren, auch wenn es weh tut. Das heißt auch: keine Angst vor Stille, keine Angst vor Langeweile, keine Angst davor, dass Zuschauer sich unwohl fühlen. Denn genau dieses Unwohlsein ist doch das, was den Text so aktuell macht.

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